Manchester calling

Ich bin nicht so (also eigentlich: gar nicht) der spontane Typ. Flugtickets und Hotelzimmer für „in zwei Wochen“ zu buchen, nach England zu fliegen, „nur“ für ein Konzert, das hat sich bis zum Abflug angefühlt wie das Verrückteste, das ich jemals getan habe. Und ich bin ja auch nicht so der Typ für Verrücktes.

Und dann hatte ich ein absolut wunderschönes, gar nicht verrücktes, langes Wochenende in Manchester. Und eins der besten Konzerterlebnisse, einen der schönsten Samstag-Ausgeh-Abende seit ganz, ganz langem.

Aber vielleicht der Reihe nach: 

Anlass für das Manchester-Wochenende war das Konzert von Tim Minchin im Opera House, Teil seiner fast 30-Show-langen UK Tour im Juni und Juli.

Tim… wer?
Hierzulande dürfte Tim Minchin höchstens den wirklich eingefleischten Musical-Fans ein Begriff sein, er steckt nämlich hinter der Musik von „Matilda“ und „Groundhog Day“/“Täglich grüßt das Murmeltier“. Aber angefangen hat er als Comedian, der vor ziemlich genau 20 Jahren seinen Durchbruch hatte auf dem Edinburgh Fringe Festival. Seitdem hat er in kleinen Theatern und großen Arenen, solo, mit Band oder Symphonieorchestern gespielt, in den USA, in Großbritannien und in Australien/Neuseeland. Ich „kenne“ ihn, seit er 2012 „Judas“ in der Arena Tour von Jesus Christ Superstar gespielt hat, habe mich – wie es immer ist, wenn ich etwas oder jemanden neu entdecke – durch gefühlt alle YouTube-Videos geschaut und seine Karriere seitdem verfolgt. Zu der eben Matilda (seit 2011 ununterbrochen im West End gespielt) gehört und Groundhog Day, seine TV-Serie „Upright“ (gibt’s in der ARTE Mediathek), Rollen in u.a. dem Re-Make von Robin Hood (ein ziemlicher Flop) und The Artful Dodger, und eben unzählige lustige, emotionale, aktivistische Lieder. „Songs The World Will Never Hear“, hieß die Tour, ein Zitat aus seinem Song „Rock’n’Roll Nerd“, und natürlich sind seine Lieder mittlerweile so oft gespielt und gehört worden – aber Mainstream ist er eben nicht. Zum Glück vielleicht.

Jedenfalls: Seit die Tour angekündigt worden war, hatte ich diesen Gedanken im Hinterkopf, „näher wird er nie spielen, wenn ich zu einem Konzert möchte, ist jetzt die Gelegenheit“, und habe ihn dann doch immer wieder verworfen. So viel Planerei, Flug, Hotel, und überhaupt… Nur um dann im Juni festzustellen, dass es für einige Termine noch Karten gab. Und dann kristallisierte sich Manchester als günstiges Ziel heraus, sowohl terminlich, als auch reise-technisch. Und irgendwann war ich an dem Punkt, wo ich dachte: f**k it, das mach ich jetzt. Natürlich hätte ich vieles günstiger haben können, wenn ich mich früher dazu entschieden hätte (oder nicht das Wochenende gewählt hätte, an dem auch Oasis in Manchester auftraten), aber ich hab es keine Sekunde bereut. 

Das Konzert war ein absolut einmaliges Erlebnis. Auch wenn es zuvor schon mehr als 20 Shows gegeben hatte, hatte man zu keinem Moment das Gefühl, dass hier einfach ein Programm abgespult wird. Im Gegenteil, so hat Minchin es zwischendurch auch gesagt, kein Abend ist wie der andere, vor jeder Show überlegt er neu, welchen Song er wie angeht. Es gab ein Foto- und Filmverbot – und ja, ich hätte liebend gern was aufgenommen, aber so fühlte es sich wirklich an wie eine große Gemeinschaft, die wir alle dort zusammen in diesem Theater etwas erlebt haben, was es nicht nochmal so geben wird. Die drei Stunden, die er gespielt hat (inkl. Pause), haben sich wie drei Minuten angefühlt und trotz gefühlter 30 Grad im Opera House hätte ich auch noch drei weitere Stunden dort sitzen bleiben können. 

Und dann: Manchester. Zwei ganze Tage hatte ich in dieser Stadt, in der ich zwar geboren bin, die ich aber weder kannte, noch hatte ich irgendwelche Vorstellungen oder Erwartungen an sie. Und dann bin ich so positiv überrascht worden. Nicht nur war an genau diesem Wochenende das Wetter dort besser als zuhause, ich war auch sehr beeindruckt, wie lebendig sich diese Stadt anfühlt. Überall gab es Musik, Straßenparties und street food, es war zwar unglaublich voll, aber alle Menschen waren freundlich, zugewandt und die ganze Stimmung war einfach sehr locker, fröhlich, positiv. (Wie Tim Minchin sagte: „I fucking love Manchester. It feels as if there’s a grand football final but everyone’s on the same team.“) Wie viel davon vom Wetter beeinflusst war, wie viel von dem Programm in der Stadt an diesen Tagen für die Oasis-Fans in bucket hats aufgeboten wurde, weiß ich natürlich nicht. Aber es war wirklich rundum schön.

Die Stadt ist ein spannender Mix aus ziemlich alt, sehr viel viktorianischem Flair und natürlich Industrie-Style, der aber clever und innovativ neu genutzt und gefüllt wird. 

Mein vielleicht liebster Fleck in dieser wirklich vielseitigen Stadt war das Medieval Quarter rund um die Kathedrale. In der Kathedrale fand am Samstag, als ich dort war, (leider) ein Flohmarkt statt – eigentlich eine coole Idee, aber irgendwie haben die Kleiderständer und die recht laute Musik für mich doch etwas die Atmosphäre gestört. Direkt neben der Kathedrale befindet sich Chetham’s Library, die leider nur mit einer Führung zu besichtigen ist, sowie einige alte Pubs in äußerst niedlichen Fachwerkhäusern. Vor der Kathedrale erinnert eine Gedenkstätte, the Glade of Light, an die Opfer des islamistischen Anschlags beim Konzert von Ariana Grande in der Manchester Arena 2017.

 

 

 

 

 

 

 

Einen langen Gang habe ich durch das Northern Quarter gemacht – relativ leicht als Szene- oder Hipster-Viertel Manchesters zu erkennen, mit einer ebenso unverkennbaren industriellen Vergangenheit. Alte (Fisch-)Markthallen werden heute genutzt als Food Hall oder beherbergen das Craft an Design Centre. Und überall erinnern die großen red brick warehouse buildings an die Zeiten von Manchester als Textil-Hochburg. 

Besonders hübsch fand ich es auch im Stadtteil Castlefieldwhere Manchester began. Hier stehen die Überreste bzw. Nachbauten eines römischen Forts, auch einige alte Mauerreste sind zu sehen. Das castle-in-the-field, das die Römer dort in Mamucium 79 n.Chr. bauten, lag auf der Strecke zwischen den bedeutenden Orten Chester und York und auch auf dem Weg von Süden zum Hadrian’s Wall. Ein Stück weiter bewegt man sich dann wieder auf den Spuren der industriellen Revolution, zwischen Kanälen, alten Eisenbahnbrücken und beeindruckenden Gebäuden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nur eine kurze Tram-Fahrt entfernt, auf der anderen Seite des River Irwell, liegt Manchesters twin city Salford – heute wahrscheinlich überwiegend bekannt aufgrund der Media City. BBC und ITV haben hier Studios, Coronation Street, das seit 1960 fast täglich im Fernsehen zu sehen ist, wird hier gedreht. Ich bin bis Old Trafford gefahren und von dort aus am Wasser entlang in die Media City gelaufen. Auf der Media City Plaza ist nicht nur der Blue Peter Garden, sondern war ebenfalls Street Food sowie ein authentic car boot sale. Im Lowry habe ich nicht nur etwas über den mir bis dahin unbekannten Maler L.S. Lowry (inkl. 360 Grad experience) gelernt, sondern im Bistro auch lecker gegessen. Auf die Tanz-Show mit Größen aus Strictly Come Dancing am Abend habe ich allerdings ebenso gern verzichtet wie auf ein Bad in den Quays – die Engländer kennen da allerdings nix.

 

 

Am Montagmorgen war noch Zeit für einen kurzen Gang durch Petersfield, das Konferenz- und Veranstaltungs-Viertel. Hier wie eigentlich überall gibt es einfach an jeder Ecke wirklich beeindruckende Gebäude zu bestaunen – und manchmal dann auch in dieser urbanen Atmosphäre kleine „grüne Überraschungen“. Nach einem kleinen Schlenker durch das Gay Village – in der Canal Street bin ich quasi durch ein Coronation Street-Set gelaufen – war dann die Zeit leider vorbei.

 

 

 

 

 

 

 

Überhaupt war es wohl – neben dem grandiosen Wetter und der entspannt-fröhlichen Atmosphäre – vor allem die Architektur, die mich an Manchester sehr fasziniert hat. Die Um- und Neunutzung alter industrieller Gebäude,  ganze Straßen, in denen man sich ins georgianische oder viktorianische Zeitalter zurückversetzt fühlt, auch das Nebeneinander von Alt und Neu – und Musik. Manchester versteht sich nicht nur als City of Music, sondern lebt das auch, in diesem Sommer zum Beispiel mit dem music trail „Music for the senses“. Für den hatte ich zwar keine Zeit (mehr), aber eine Station konnte ich quasi fast aus meinem Hotelzimmer-Fenster sehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Manchester will be calling again, da bin ich mir sicher. Viel zu viel habe ich nicht gesehen, weil die Zeit einfach nicht reichte (und mir das Wetter auch zu schön war für längere indoor-Aktivitäten und -Besuche). Und insgesamt, lgaube ich, wird es demnächst mal Zeit für eine längere Reise durch den Norden Englands.