Gelesen – 07/2017

Zwei Bücher habe ich für den Juli vorzuweisen. Und das trotz Semester-Endspurt-Stress, viel Arbeit bei der Arbeit und generell wenig Zeit für alles. Und das, obwohl ich eines der beiden Bücher eher widerwillig überhaupt nur in die Hand genommen habe. Aber dazu gleich mehr.

Anne Enright: The Green Road
Vintage/Penguin Random House UK

Dieses Buch habe ich mir im Juni selbst im Buchladen gekauft. Allein dieser Kauf hat mich schon glücklich gemacht. Normalerweise meide ich Buchläden, weil es mir so unglaublich schwer fällt, sie nicht mit Taschen voller Bücher wieder zu verlassen. Aber weil mein Stapel bzw. der Anteil ungelesener Bücher im Regal stetig weiter sinkt, fand ich, es war an der Zeit für eine „Belohnung“. Tatsächlich habe ich mir schon lange kein Buch mehr gekauft, weil ich viele Bücher geschenkt bekomme und die dann eben auch gelesen werden wollen. Aber für die Zugfahrt nach Amsterdam wollte ich mir im Laden etwas aussuchen. Letzlich habe ich dann in Amsterdam noch immer „Die Mutter der Königin“ gelesen, aber das konnte man ja vorher nicht ahnen.

Mit „The Green Road“ habe ich also erst nach meinem Amsterdam-Wochenende (das ich hier übrigens ganz sicher auch noch irgendwann verbloggen werde) begonnen, es dann aber ziemlich schnell geradezu verschlungen. Von Anne Enright hatte ich noch nichts gehört, auch wenn sie schon den Man Booker Prize gewonnen und „The Green Road“ 2015 auch dafür nominiert war. Aber es hat mich im Laden so angesprochen – das Cover, der Klappentext und die Kritiken auf der Rückseite – dass es einfach dieses Buch werden musste. Und es war eine gute Wahl.

„The Green Road“ hat mich am Anfang zunächst ein wenig an „Die Asche meiner Mutter“ erinnert. Ob das daran lag, dass beide Bücher in Irland spielen? Viel weiter reichen die Gemeinsamkeiten nämlich eigentlich nicht. Zwar erzählt auch Enright von dem Leben einer Familie, aber auf eine völlig andere Art und Weise. Und in einer anderen Zeit. „The Green Road“ hat zwei Teile: Die fünf Kapitel im ersten Teil, „Leaving“, sind jeweils mit dem Namen eines der vier Kinder bzw. der Mutter überschrieben und aus der jeweiligen Perspektive erzählt. Dabei wird zwar chronologisch vorgegangen (das erste Kapitel aus der Sicht des jüngsten Kindes, Hanna, spielt 1980 und ist das einzige, in dem die Familie noch zusammen lebt; das letzte aus der Sicht von Rosaleen, der Mutter, 2005), aber im Grunde stehen die Kapitel für sich, denn es wenig selten bis nie Bezug auf vorher Erzähltes oder die anderen Familienmitglieder genommen.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Familie nicht besonders nahe steht. Die Kinder, das erfährt man dann spätestens im Kapitel der Mutter, haben sich nach dem Auszug fast in alle Winde verstreut, die Töchter leben zwar noch in Irland, die beiden Söhne jedoch in den USA bzw. wahlweise als Entwicklungshelfer in irgendeinem Land in Asien oder Afrika. Durch die jeweils völlig neue und andere Perspektive in einem Kapitel ist es fast ein bisschen, als steckten in diesem Buch ganz viele einzelne. Schon nach wenigen Seiten kennt man die Person, von der da erzählt wird, und ist gleichzeitig fasziniert, wie unterschiedlich die vier Geschwister sind.

Das Kapitel „Rosaleen“ leitet dann schon ein wenig den zweiten Teil ein: „Coming Home“. Sie, mittlerweile verwitet, beschließt, das Haus zu verkaufen und ihre Kinder ein letztes Mal zu Weihnachten alle zu sich einzuladen. Die Kapitel im zweiten Teil sind mit den Namen der Orte überschrieben, an denen sie spielen. Wieder wechselt die Erzählperspektive mit jedem Kapitel und der Leser erfährt, wo und wie die Kinder 2005 leben und wie sie die Einladung ihrer Mutter aufnehmen. Das letzte Kapitel schließlich hat denselben Titel wie das Buch. An Weihnachten sind tatsächlich alle Kinder und Rosaleen zusammen. Aber es ist keine fröhliche Familienzusammenkunft. Die Persönlichkeiten sind so unterschiedlich, jeder hat mit sich selbst zu kämpfen und mit dem Verhältnis zu ihrer Mutter, die „doesn’t quite know how to love her children“, wie es im Klappentext heißt. Sie verlässt abends im Dunkeln das Haus für einen Spaziergang, von dem sie nicht zurückkommt. Alle machen sich auf die Suche, alarmieren Nachbarn und Bekannte und die Familie stellt dabei fest, welche Beziehungen zwischen ihnen sie doch zusammenhalten.

„The Green Road“ ist so faszinierend, weil es gleichzeitig unterhält und dabei ganz tief in die Persönlichkeiten der Figuren eindringt. Auf den Seiten, die jeder Person gewidmet sind, erfährt man quasi sofort alles über die Person, und hat schon nach kurzer Zeit das Gefühl, die Kinder und Rosaleen in- und auswendig zu kennen. Im Zentrum steht dabei immer, auch wenn es erst gegen Ende tatsächlich direkt thematisiert wird, die Familie.

There they all were, girls facing the window, boys facing the room: Constance-and-Hanna, Emmet-andDan. Their mother sat at the foot of the table […] and for a moment they pretended that nothing had happened, that this room would always be the same, and always theirs. […] They looked at the plates heaped with food and marvelled aloud at it, each of them silently shouting that she could not take it away from them, whatever it was – their childhood, soaked into the walls of this house.

Kindlich und gleichzeitig erwachsen, ein Buch über Familie, das Erwachsenwerden, Auseinanderleben und wieder-zueinander-finden. Stellenweise urkomisch, sehr unterhaltsam und immer wieder sehr berührend.

Katherine Pancol: Der langsame Walzer der Schildkröten
btb Verlag

Dieses Buch meinte ich, als ich in der Einleitung geschrieben habe, dass ich es nur widerwillig überhaupt zu lesen begonnen habe. Es ist der zweite Band in einer Trilogie von Katherine Pancol und mit dem ersten Buch, „Die gelben Augen der Krokodile“, habe ich mich unglaublich schwer getan. Ich habe beide Bücher zusammen geschenkt bekommen und fühle mich dann immer verpflichtet sie auch zu lesen. Meine Mutter hat den ersten und dritten Band in der französischen Originalversion im Regal stehen und als ich den ersten Band gelesen habe, war ich der Meinung, dies wäre doch eine gute Gelegenheit, meine Französisch-Kenntnisse vor dem völligen Einrosten zu bewahren. Also habe ich „Die gelben Augen der Krokodile“ teilweise auf Deutsch gelesen, dann auf Französisch und als das zu mühsam wurde und das Lesen noch weniger Spaß machte als auf Deutsch, bin ich wieder zu meinem deutschen Buch zurückgekehrt.

Vielleicht war das der Fehler. Weil ich ja alle Bücher zu Ende lese, auch wenn sie mir nicht wirklich gefallen, habe ich das auch damit geschafft, hatte dann aber keine Motivation mehr, mit dem zweiten Band zu beginnen. Jetzt war der aber fällig, denn ich will ja demnächst nur noch gelesene Bücher im Regal stehen haben (um dann neue kaufen zu können…). Und was soll ich sagen? Es ist zwar nicht mein neustes Lieblingsbuch geworden, aber ich habe es doch tatsächlich gerne gelesen und war erstaunlich schnell damit durch (denn dünn ist es mit seinen knapp 670 Seiten nun auch nicht unbedingt).

„Der langsame Walzer der Schildkröten“ setzt genau an der Stelle ein, wo der erste Band geendet hatte. Darin erfährt der Leser vom Leben von Josephine. Sie lebt in Paris, hat zwei Töchter, einen Mann, der sie für eine jüngere sitzen lässt und mit der nach Afrika geht, um dort Krokodile zu züchten, eine Schwester, in deren Schatten sie ihr Leben lang stand und noch immer steht, einen erfolgreichen und ziemlich reichen Schwager, eine Mutter, mit der sie sich nicht versteht, einen erfolgreichen, geschäftstüchtigen Stiefvater, nur wenige Freunde und ein unglaublich geringes Selbstbewusstsein.

Vielleicht war auch das mein Problem mit den „Gelben Augen der Krokodile“. Ich konnte mich weder in irgendeiner Weise mit Josephine identifizieren, noch fand ich ihre schüchterne, „verhuschte“ Art sympathisch. Mitleid hatte ich mit ihr nicht, stattdessen nur Unverständnis, in welcher Weise sich diese erwachsene Frau von allen Menschen um sie herum, inklusive ihrer pubertierenden Tochter, auf der Nase herumtanzen und runtermachen lässt.

Der Unterschied zum „Walzer der Schildkröten“? Josephine verändert sich. Sie hat ein erfolgreiches Buch geschrieben, einen historischen Roman, sie wird selbstbewusster, sie zieht in eine größere Wohnung in einer besseren Gegend in Paris, hat wieder eigene Ziele und Träume und verfolgt diese auch. Natürlich dreht sie sich nicht um 180 Grad, sie bleibt unsicher und zurückhaltend, und ihr Verhältnis zu Hortense, ihrer älteren Tochter, bleibt schwierig:

Sie verspürte ein tiefes Glück, das sie wieder aufmunterte und ihr Freude und Appetit zurückgab. Das Leben wurde so schön, wenn Hortense sie liebte, und sie hätte noch zwanzigtausend Schecks ausgestellt, damit ihre Tochter ihr eine Liebeserklärung ins Ohr flüsterte.

Trotzdem ist Josephine ein deutlich veränderter Mensch und das macht sie mir sehr viel sympathischer. Merkwürdig finde ich noch immer auch den Schreibstil. Pancol wechselt ständig übergangslos aus dem Er-/Sie-Erzähler (die Perspektive wechselt zwischen den verschiedenen Personen) in die in Ich-Form geschriebenen Gedanken der jeweiligen Figur.

Josephine fand den Mut, sich aufzurichten, und suchte nach einem Versteck. Die Waschküche fiel ihr ein. Sie verfügte über eine dicke, abschließbare Tür. Hoffentlich ist mein Akku noch nicht ganz leer! Ich rufe Hortense an. Sie wird wissen, was ich tun soll.

Das fand ich zunächst irritierend und irgendwann dann auch ein wenig störend, bis ich irgendwann schlicht darüber weggelesen habe. Wunderbar ist an den Büchern aber, dass sie so sehr französisch sind und viel aus dem Alltag in Paris berichtet wird. Vor allem Josephine ist eine unglaublich aufmerksame Beobachterin und durch ihre Augen erfährt man unfassbar viel über die Menschen und das Leben in Paris. Es ist schon einige Zeit her, dass ich den ersten Band gelesen habe, würde aber gefühlt sagen, dass dies in hier im „Walzer der Schildkröten“ noch stärker der Fall ist als im ersten Band. Auf jeden Fall habe ich mich hierbei deutlich besser unterhalten gefühlt und mit mehr Genuss gelesen als den ersten Band und bin mittlerweile auch dem dritten („Montags sind die Eichhörnchen traurig“) nicht mehr abgeneigt.