Gelesen – 06/2018 und 07/2018

Am Ende des Juni habe ich es mit Mühe und Not geschafft, ein Buch zu beenden – für den dazugehörigen Blog-Post hat es dann nicht mehr gereicht. Deshalb heute gleich die doppelte Ladung „Gelesen“ – rückblickend für den Juni und den gerade erst abgelaufenen Juli.


Adam Haslett: Imagine Me Gone
Penguin Books

Was war das für ein Buch? Ich finde es unglaublich schwierig zum einen zusammenzufassen, worum es in diesem Roman geht, und zum anderen zu sagen, ob er mir nun eigentlich gefallen hat oder nicht. Ich habe zuletzt ja einige Romane gelesen, die im weitesten Sinne Familie als Thema haben: Ob jetzt „The Green Road“, „The Light Between Oceans“ oder in gewissem Maße auch die Meyerhoff-Romane, irgendwie scheint das – und vor allem Geschichten von und über Geschwister – im Moment so ein bisschen mein Ding zu sein. Der Text auf der Rückseite des Buches klang danach (oder ich habe ihn so interpretiert), als würde auch dieser Roman von Adam Haslett in diese Reihe passen.

Tut er auch, in gewisser Weise. Aber es geht um so viel mehr als um die Geschichte einer Familie. Und es geht um so viel größere, schwerwiegende Dinge. Es wird wohl keine Familie geben, in der immer alles super und harmonisch verläuft, in der alle glücklich sind und zufrieden mit ihrem Leben und sich gut verstehen. Diese Familie, bestehend aus John und Margaret und den Kindern Michael, Celia und Alec, ist weit davon entfernt.

Der Roman wird wechselnd aus der Perspektive aller fünf Familienmitglieder erzählt. Die Geschichte beginnt mit einem Sommerurlaub in Maine. Aus der Sichtweise von Margaret erfährt der Leser, wie sie, die Amerikanerin, in England John kennengelernt hat, unter welchen Umständen sie geheiratet haben und von der Zeit, als das erste Kind, Michael, zur Welt gekommen ist. Kurz vor der Hochzeit muss John wegen einer schweren, akuten Depression einige Zeit im Krankenhaus verbringen. Margaret und er heiraten dennoch, Michael kommt auf die Welt, sie ziehen in die USA und die anderen beiden Kinder folgen. Doch die Depressionen lassen John nicht los, er verliert seinen Job, verliert nach und nach den Bezug und den Kontakt zu seiner Familie und bringt sich irgendwann um. Michael ist zu diesem Zeitpunkt bereits zuhause ausgezogen und hat einige Jahre in England gelebt. Schon als er noch ein Kind war, wurde offensichtlich, dass er irgendwie anders war: Er ist geradezu besessen von der Geschichte der Sklaverei und wie diese noch Generationen und hunderte Jahre später Menschen traumatisiert.

I don’t pretend to know with any certainty why it is that I keep coming back to these scenes, to imagining these men and women and children chained in the rocking dark. […] It isn’t economic reasoning or public justice that won’t let me go. It’s the withered bodies, the cries of the dying, the blood-soaked decks, that carnival of evil that each morning I try to medicate into the floor.

Während seine Geschwister eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren, hetero- (Celia) und homosexuelle (Alec) Beziehungen führen, beginnt Michael mehrmals ein Studium (das letzte Mal mit Mitte 30) und bricht sie allesamt ab. Er wird stark abhängig von Medikamenten, die seine Depression bekämpfen sollen, und stirbt schließlich, als er zusammen mit Alec in dem Inselhaus in Maine, in dem die Familie früher Urlaub gemacht hat, einen kalten Entzug durchführt. „Michael, who never stopped trying to want what we wanted for him.“

Ich fand es schwer zu lesen, weil es für mich schwierig war, irgendeine Art von Beziehung zu den Personen aufzubauen. Mitfühlen, mich hineinversetzen in ihre Lage war schwierig, weil sie und das Leben, das sie führen, die Probleme, mit denen sie kämpfen, so weit weg sind von mir. So oft saß ich kopfschüttelnd über diesem Buch, weil ich Gedankengänge, Argumente, Handlungen einfach nicht nachvollziehen konnte – ohne sie aber vollends verwerfen zu können, dazu sind die Personen zu echt. Dazu kommt ein Schreibstil, der zwar faszinierend ist, aber nicht unbedingt zu einem einfacheren Lesen beiträgt. So ist ein Kapitel aus Michaels Sicht beispielsweise vollständig in Briefen geschrieben, die er von der Überfahrt aus den USA nach England an seine Tante schickt. In einem anderen Kapitel erzählt er seine Lebens- (und Medikamenten-)Geschichte in Form eines Patientenaufnahme-Formulars.

Erst gegen Ende des Romans wurde das Lesen leichter – vielleicht habe ich einfach so lange gebraucht, mich an die Sprache und den Erzählstil zu gewöhnen. Und auch das Verständnis, die Sympathien wurden größer, ich hatte das Gefühl, die Personen, so abstrus sie mir zum Teil immer noch erschienen, jetzt doch ein wenig zu kennen, und ab da berührte mich die Geschichte auch. Eine ungewöhnliche Lektüre auf jeden Fall, die zum Nachdenken anregt.


Robert Galbraith: The Cuckoo’s Calling
Mulholland Books

Endlich. Dieses Buch habe ich eigentlich nur gekauft, um mir nach dem Lesen endlich die dazugehörige TV-Serie anschauen zu können. Denn ich bin da ein bisschen eigen: Wenn es für Filme oder Serien eine Buchvorlage gibt, dann will ich die zuerst gelesen haben, bevor das Gesehene mir eigene Vorstellungen von Personen, Orten usw. unmöglich macht. Und sehen möchte ich die Serie so gerne wegen eines bestimmten Schauspielers. Aber der Reihe nach.

„The Cuckoo’s Calling“ ist der erste Band in der Krimireihe um Cormoran Strike von Robert Galbraith. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich Joanne K. Rowling. Neben dem Schauspieler also für mich, als großer Harry Potter-Fan, ein weiterer Grund für die Lektüre. Strike ist ein ehemaliger Soldat, der mit nur noch einem halben rechten Bein aus Afghanistan zurückgekommen ist und sein Geld jetzt als Privatdetektiv in London verdient. Zu Beginn des Romans zieht er mit seinen wenigen Habseligkeiten gerade in sein Büro in der Denmark Street ein, denn die Beziehung zwischen ihm und seiner Freundin Charlotte ist gerade zum wiederholten Male gescheitert und er hat beschlossen, dass dies das endgültige Ende ist und die gemeinsame Wohnung verlassen. Doch sein Geschäft lief bisher nicht sonderlich gut, er kann kaum die Büromiete zahlen und hat darüberhinaus einige Schulden abzubezahlen – an eine eigene Wohnung ist nicht zu denken.

Doch der nächste Fall, der ihm zugetragen wird, soll das ändern: John Bristow beauftragt Strike damit herauszufinden, ob hinter dem von der Polizei als Selbstmord bezeichneten Tod seiner Schwester nicht doch mehr steckt. Das Brisante: Seine Schwester ist Lula Landry, ein berühmtes, aufstrebendes Model. Einige Monate zuvor, im Januar, war sie von ihrem Balkon auf den schneebedeckten Gehweg vor ihrem Haus gestürzt – oder doch gestürzt worden? Bristow hatte noch einen weiteren Bruder, Charlie, der als Kind Strikes bester Freund war, bis er nach den Osterferien 1983 nicht mehr zurück in die Schule kam, weil er tödlich verunglückt war.

Strike übernimmt den Fall, auch wenn er sich in der Welt der Models und Promis, in der er nun ermittelt, nicht gerade zuhause fühlt. Wer Strikes Eltern kennt, den mag das überraschen: Sein Vater ist ein berühmter Sänger, seine Mutter war ein sogenannter „Supergroupie“. Sie starb an einer Überdosis, Rokeby erkannte die Vaterschaft von Strike nur nach einem DNA-Test an.

Strike ermittelt mit der Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt eines ehemaligen Soldaten und mit der Hilfe guter Kontakte (auch in der Polizei) und seiner vorübergehenden Sekretärin und Assistentin Robin. Und natürlich, so viel kann ich vorwegnehmen, ohne zu „spoilern“, stellt sich am Ende heraus, dass es kein Selbstmord war, dass Lula nicht selbst von ihrem Balkon sprang, sondern hinuntergestoßen wurde.

Dieses Buch konnte ich wirklich nur ganz schlecht aus der Hand liegen. Vielleicht lag es daran, dass es ein Krimi und einfach wirklich gut geschrieben und sehr spannend war. Angeblich gab es nach Erscheinen des Buches 2013 schnell Gerüchte, dass Rowling hinter dem Pseudonym Galbraith steckt, weil der Schreibstil so typisch für sie sei. Das konnte ich jetzt nicht nachempfinden, aber das Buch lässt sich tatsächlich sehr gut und sehr angenehm lesen. Spannend ist es ebenfalls und die Auflösung hat mich wirklich überrascht. Das einzige Manko, das ich anführen könnte: Als Strike am Ende darlegt, wer der Mörder ist, wie er die Tat geplant und durchgeführt hat, war ich an einigen Punkten seiner Ausführungen doch ein wenig überrascht, woher er dies oder jenes nun wusste oder weshalb er zu dieser oder jener Vermutung gekommen war. Da hatte ich dann doch das Gefühl, es gebe dort noch einige Lücken, auf die der Leser nicht mitgenommen worden war.

Aber davon abgesehen war es eine sehr unterhaltsame, sehr kurzweilige und sehr spannende Lektüre. Die Art und Weise, wie Galbraith/Rowling Umgebungen, Straßen und Orte beschreibt, lässt diese wirklich vor dem inneren Auge entstehen. Gleiches gilt natürlich auch für Personen. Wobei die Tatsache, dass ich Cormoran Strike bei seinen Ermittlungen quasi vor mir gesehen habe, auch damit zusammenhängen könnte, dass ich weiß, wer diese Rolle in der Serie spielt: Tom Burke kenne ich bereits aus der BBC-Serie „The Musketeers“ (und dem Film „Third Star“) und das beste ist , dass seine Rolle dort, Athos, und Strike sich, wenn auch nicht äußerlich, so doch zumindest charakterlich sehr, sehr ähnlich sind: Beide sind eher in sich gekehrt und gerne für sich, beide können auf andere leicht einen ungepflegten, ungehaltenen, unfreundlichen Eindruck machen, beide sind manchmal ein wenig unbeholfen im Umgang mit anderen Menschen, beide sind intelligent, haben eine gute Menschenkenntnis und durchschauen andere Personen leicht.

Die nächsten beiden Bücher aus dieser Serie stehen auf jeden Fall auf der Liste (angeblich hat Rowling Pläne für noch mindestens zehn weitere Romane) und die BBC-Adaption werde ich hoffentlich auch sehr bald sehen können. Wer einen guten Krimi sucht mit interessanten Charakteren, einem spannenden Plot und tollen Beschreibungen von London, der ist hier jedenfalls an der richtigen Adresse.