Gelesen – 08/2018

Wow. Der August war ein Lesemonat. Und das, obwohl ich – ganz nebenbei – die Master-Arbeit weitestgehend fertiggestellt habe (bis auf die ganzen, nervigen Korrektur- und Abschlussarbeiten, die jetzt gerade noch anstehen). Aber ich hatte zwei Wochen Urlaub von der Büro-Arbeit, ich war drei Wochen zuhause – und habe die Abende, nachdem mein Tagewerk vollbracht war, lesend auf der Terrasse gesessen. Dazu noch Bücher, die sich wirklich einfach so runterlesen lassen – und schon steigt die Zahl der gelesenen Bücher auf fünf für diesen Monat.


Jean-Luc Bannalec: Bretonische Geheimnisse
Kiepenheuer & Witsch

Der mittlerweile siebte Fall von Kommissar Dupin, von dem ich hier ja nun schon häufiger berichtet habe. Nachdem er den vorherigen Fall während seines Urlaubs an der Côte de Granit Rose quasi im Geheimen gelöst hat, befindet er sich im aktuellen Band gemeinsam mit seinen Inspektoren Riwal und Kadeg und seiner Assistentin Nolwenn auf einem Betriebsausflug im Wald von Brocéliande. Bevor sich die vier Seen, Schlösser und weitere Orte im Wald anschauen wollen, an denen der Legende nach verschiedene Geschichten der Artus-Erzählung stattgefunden haben sollen, will Dupin nur kurz als Gegenleistung für die Unterstützung seines alten Pariser Kollegen Jean Odinot im vorherigen Fall für ihn einen Artus-Forscher interviewen, der in Tréhorenteuc wohnt. Dumm nur, dass Dupin ihn nur noch tot auffindet. Dümmer noch, dass ihm kurz darauf von Odinot eröffnet wird, er werde als Sonderkommissar der Pariser Polizei diesen Fall übernehmen.

Nicht nur der Betriebsausflug ist damit gestrichen – Dupin muss den Fall auch schnell lösen, denn ab dem Abend am nächsten Tag wird er bei dem gemeinsamen Umzug von ihm und seiner Freundin Claire in eine gemeinsame Wohnung gebraucht. Das wird nicht einfacher, als nach und nach weitere Tote auftauchen – an verschiedenen Orten in und um Tréhorenteuc und im Forêt de Brocéliande. Ihre Gemeinsamkeit: Sie alle sind renommierte Forscher, die sich als Historiker, Archäologen und Literaturprofessoren zu einer Konferenz über die neuesten Erkenntnisse in der Artus-Forschung im Centre de l’Imaginaire Arthurien zusammengefunden hatten.

Es beginnt eine wilde Suche nach dem Verdächtigen – oder, genauer gesagt, einem Verdächtigen, denn Dupin, seine Inspektoren und die lokalen Kollegen aus Rennes, die ihm, dem Sonderermittler, unterstellt sind, tappen eine ganze Weile im Dunklen. Immer begleitet von der Artus-Saga und den Geschichten rund um das Haus und den See der Viviane, die Église du Graal, den Feenspiegel und viele weitere mystische Orte mehr.

Um ehrlich zu sein: Die Dupin-Krimis sind immer sehr unterhaltsam zu lesen, sie machen unglaubliche Lust auf Urlaub in der Bretagne und sie bergen immer interessante und überraschende Wendungen. So natürlich auch dieser Fall. Aber diese Folge war auch ganz besonders spannend. Ständig kommen neue Tote dazu, pausenlos irrt Dupin durch den dunklen, geheimnisumwobenen Wald oder sucht nach Geheimnissen (oder sachdienlichen) Hinweisen in alten Gewölbekellern. Wenn man das liest, im Dunklen abends auf der Terrasse, mit dem Raschen von Igeln und Mäusen im Garten, kommt da schon echtes Krimi-Feeling auf.

Erneut ein sehr spannender Fall von Kommissar Dupin, der ausnahmsweise mal nicht am Meer, sondern im Hinterland der Bretagne agiert, das aber von Bannalec nicht weniger spannend und anziehend dargestellt wird. Dazu die vielen Anklänge an die Artus-Saga und deshalb natürlich ein Inspektor Riwal, der zu Hochtouren aufläuft und bretonische Erzählungen und Mythen aus seiner Westentasche zaubert wie sonst nie – und am Ende geht es in diesem Fall womöglich wirklich um den Heiligen Gral.


Rafik Schami: Reise zwischen Nacht und Morgen
Carl Hanser Verlag

Ein Buch wie ein Märchen. „Reise zwischen Nacht und Morgen“ steht bei meinen Eltern im Regal und habe ich schon vor vielen, vielen Jahren mal gelesen. Schon seit längerem hatte ich das Bedürfnis es noch einmal zu lesen – ich hätte die Handlung nicht mehr im Einzelnen nacherzählen können, aber ich konnte mich noch an das Gefühl und das Staunen beim Lesen erinnern. Und genauso ging es mir jetzt wieder.

Das Buch erzählt die Geschichte von Valentin und seinem Circus Samani, den vor ihm schon sein Vater und sein Großvater geleitet haben. Der Circus befindet sich im Winterquartier irgendwo bei Mainz, als Valentin einen Brief von einem alten Freund bekommt, Nabil, den er als Junge während einer Arabien-Tournee des Circus in Ulania kennengelernt hat. Nabil bittet ihn, mit dem Circus nach Ulania zu kommen, dort aufzutreten und zu bleiben, bis er sterbe, denn er ist krank und die Ärzte geben ihm nicht mehr viel Zeit. Sein letzter Wunsch sei es, im Circus zu leben, zu arbeiten und mit ihm zu reisen.

Valentin muss trotz seiner gerade beginnenden Beziehung zur Briefträgerin Pia nicht lange überlegen: Während er in Deutschland nur seine Schulden verwalten kann, lockt in Arabien ein Verdienst. Außerdem bietet sich ihm so die Möglichkeit, die Liebesgeschichte zwischen seiner Mutter und Tariq, aus Ulania stammend, von der Valentin nach dem Tod seiner Mutter in deren Tagebüchern erfahren hat, zu erforschen und zum Mittelpunkt seines eigenen Liebesromans zu entwickeln.

Nach vielen Vorbereitungen und einer langen Überfahrt kommt der Circus – mit Artisten und Tieren, Zelt und Wagen – in Ulania an. Sie werden herzlich empfangen und sind sehr beliebt. Valentin und Nabil knüpfen nahtlos dort an, wo sie viele Jahrzehnte zuvor aufgehört hatten. Valentin kümmert sich um seinen Circus, Nabil führt abends durch die Vorstellungen und gemeinsam laufen sie auf den Spuren von Valentins Mutter und Tariq durch die Altstadt, entdecken Geheimnisse und Verwandte und Valentins Liebesroman fällt am Ende doch ganz anders aus, als er vorher gedacht hatte.

„Erschlage die Schönheit dieser Zeit nicht mit der Uhr“, antwortete Nabil, „es ist die schönste des Lebens, deshalb sterben die meisten Menschen in ihr. Es ist die Zeit, in der die Nacht sich anschickt zu gehen und der Morgen noch nicht ganz angekommen ist. Der Farbe nach Nacht, schmeckt sie bereits nach Morgen. Ich nannte diese Zeit einst Nachmorg und dieser Name ist geheimnisvoll wie sie.“

Immer am Nachmorg sitzen Valentin und Nabil zusammen und erzählen sich Geschichten. Und so wird in diesem Buch nicht nur eine Geschichte, sondern werden eigentlich unzählige Geschichten erzählt.  Es ist die Geschichte von Valentin, es ist die Geschichte seiner Mutter und Tariq, es sind all die Geschichten, die Nabil erzählt, es ist eine Geschichte von der arabischen Kunst des Geschichtenerzählens. Und das auf eine unglaublich sympathische und mitreißende Art und Weise. Selten habe ich es erlebt, dass ich wirklich so sehr in eine völlig andere Welt eintauche – aber schließlich handelt auch nicht jedes Buch in einer so fremden Welt. Wenn Valentin über die Basare spaziert oder im Hamam badet, dann sind das Orte, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, die ich mir kaum vorstellen kann, die aber von Rafik Schami so lebhaft und lebendig beschrieben werden, dass ich sie doch vor meinem inneren Auge sehe.

Die Sprache und die Erzählung von Schami ist ganz besonders. Allein schon bei den Titeln der einzelnen Kapitel, beispielsweise“ Wie leichte Luft Schweres heben kann und Liebe schwer zu ertragen wird“ merkt man, wie dass da jemand ganz viel Lust am Erzählen und Formulieren hat. Das Buch erinnert an Märchen aus 1001 Nacht, es kann auch als ein solches gelesen werden, aber darunter, abseits von romantischen Liebesgeschichten und Bädern im Hamam, werden auch Klischees gerade gerückt, gibt es auch Kritik: Die Symbolik der Szene, in der die Stadt Ulania ihr Jubiläum mit Staatsakt und Festlichkeiten begehen will, aber ein schwerer Sturm die Stadt erschüttert, den Präsidenten bis auf die Haut durchnässt und die Seiltänzerin Eva fast vom zwischen Kirche und Moschee gespannten Seil wirft, habe ich erst jetzt wirklich verstanden, beim zweiten Lesen (und einige Jahre älter).

Dennoch hat mich dieses Buch verzaubert – und das ist ein Wort, das ich nicht häufig benutze (weil ich für gewöhnlich viel zu rational dafür bin), das hier aber einfach das passendste ist. „Reise zwischen Nacht und Morgen“ ist so ein Buch, das man immer und immer und immer wieder lesen könnte (kann) und es würde nie langweilig werden.


Pierre Martin: Madame le Commissaire und der verschwundene Engländer
Knaur-Verlag

Dieses Buch mussten mir meine Eltern ein wenig „aufschwatzen“. Auf der Suche nach weiterer Lektüre und „du liest doch auch so gerne den Dupin“ bin ich also in der Provence und bei Isabelle Bonnet gelandet. Sie war Leiterin eines Sondereinsatzkommandos, dem Innenminister unterstellt, bis sie bei einem Attentat am Arc de Triomphe in Paris schwer verletzt wurde und viele ihrer Männer verlor. Jetzt ist sie in dem kleinen Dorf Fragolin im Hinterland der Côte d’Azur, wo sie aufgewachsen war, bis sie nach dem Tod ihrer Eltern bei einem Autounfall zu ihrer Großmutter kam.

In Fragolin will Isabelle ausspannen, sich re-generieren, zurück zu sich selbst und in’s Leben finden. Doch als in einer Villa nicht weit entfernt eine Frau tot aufgefunden wird, der englische Besitzer des Hauses aber nicht aufzufinden ist, bittet Maurice Balancourt, ihr Pariser Chef im Innenministerium, sie den Fall zu übernehmen. Sie nimmt an – das Nichtstun ist nicht ihre Stärke und ein wenig Ablenkung kann bei der Genesung nicht schaden. Mit ihrem Sonderausweis der Police Nationale und der Rückendeckung aus dem Innenministerium kommt sie überall hin, macht sich aber nicht nur Freunde, vor allem nicht bei der örtlichen Polizei.

Doch ihre Freundschaft mit Clodine, die sie noch aus Kindertagen kennt und die noch immer in Fragolin wohnt, lebt wieder auf. Auch mit dem Bürgermeister des Ortes, Thierry Blés, freundet Isabelle sich an und wird sogar – als erste Frau – in die abendliche Boule-Runde auf dem Rathausplatz aufgenommen. Und nebenbei löst sie, in ihrer eigentlichen Auszeit, den Fall, mit Unterstützung ihres neuen Assistenten Apollinaire, der nicht nur immer verschiedenfarbige Socken anzieht oder bei Durchblutungsstörungen auch schon einmal einen Kopfstand im Büro macht, sondern auch noch weitere merkwürdige, aber irgendwie liebenswürdige Eigenarten hat.

Wie in den Dupin-Krimis nimmt auch in den Madame le Commissaire-Fällen die Landschaft und regionale Eigenheiten, Essen, Getränke, Redensarten, einen großen Raum ein. Nur sind es hier eben provenzalische statt bretonische Sitten. Damit enden aber auch eigentlich alle Gemeinsamkeiten zwischen den Reihen: Denn natürlich erinnert das Buch ein wenig an die Krimis von Jean-Luc Bannalec, für mich kommt es aber bei weitem nicht an die Romane über Kommissar Dupin heran. Das hat vor allem mit der Sprache zu tun: Diese ist sehr viel einfacher – bis hin zu einfältig. Es gibt mir zu viele Wiederholungen: So wird beispielsweise nicht nur wieder neu in jedem Band, was ja noch verständlich wäre, sondern mehrfach innerhalb desselben Buchs betont, dass Balancourt für Isabelle ein „väterlicher Freund ist“. Schlimmer noch, sie nennt ihn selbst so in ihren Gedanken, was mir, wie vieles weitere, unnatürlich vorkommt. Gesprochenes und Gedachtes wirkt auf mich an vielen Stellen entweder sehr naiv oder sehr gekünstelt, in jedem Fall nicht natürlich. Und auch in Punkto Spannung kommt Bonnet nicht an Dupin heran.

Dafür kann man aber sagen, dass es sich hierbei wirklich um perfekte Sommerlektüre handelt. Anders als in der Bretagne ist in der Provence das Wetter wirklich immer gut (jedenfalls in dem Buch), es lässt sich ohne viel Anstrengung locker runterlesen, die provenzalischen und anderen Gerichte machen Hunger und die Erwähnung von Croissants und café au lait zum Frühstück, menthe à l’eau und gekühltem Rosé-Wein in Karaffen sorgen für echte Sommerstimmung.


Pierre Martin: Madame le Commissaire und die späte Rache
Knaur-Verlag

Und weil es sich so gut lesen ließ, auch am Abend nach getaner Arbeit, habe ich gleich den zweiten Band hinterher geschoben. Isabelle hat mittlerweile beschlossen, zumindest vorerst nicht nach Paris zurückzukehren, sondern sich in Fragolin niederzulassen. Balancourt gründet extra für sie dort ein Kommissariat für besondere Fälle, bestehend aus ihr und Apollinaire. Ihren nächsten Fall suchen sie sich aus alten Akten: Sie wollen bisher ungeklärte Fälle neu aufrollen.

Apollinaire findet einen alten, ungelösten Mordfall: Vor vielen Jahren wurde ein Mann unweit von Fragolin im Wald tot aufgefunden, böse zugerichtet mit einer Mistgabel. Nur kurze Zeit später taucht an einem Strand ein Toter auf, dessen Mord Ähnlichkeiten zu Isabelles Fall aufweist. Sie als einzige bemerkt diese Parallelen und ermittelt so bald nicht nur in einem alten, sondern auch in einem aktuellen Mordfall. Daneben hat sie aber auch wieder einen Spezialauftrag von Balancourt erhalten: Sie soll einen Mann bewachen, der für einige Wochen im Zeugenschutzprogramm in Fragolin unterkommen soll.

Auch hier wieder: Viel Lokalkolorit, viel Sonne, viel provenzalische Sommerstimmung. Mit der Spannung ist es nicht ganz so weit her: Nach etwa der Hälfte des Romans hatte ich eine Theorie, die sich am Ende als wahr herausstellte. Oder sollte ich vielleicht doch noch einen anderen Berufsweg einschlagen?

Pierre Martin: Madame le Commissaire und der Tod des Polizeichefs
Knaur-Verlag

Vielleicht wirkt es merkwürdig, dass ich viel Kritik übe an den Romanen von Pierre Martin (übrigens wie Jean-Luc Bannalec ein Pseudonym) und trotzdem jetzt schon den dritten in Folge vorstelle. Aber irgendwie ist es auch genau die richtige Lektüre für die aktuelle, sehr stressige und anstrengende Zeit: Kurze Kapitel, von denen man mal eben ein oder zwei zwischendurch oder vor dem Schlafen lesen kann, wenig anspruchsvoll, ohne dass es irgendwie kitschig oder schnulzig wäre.

Erneut ermittelt Isabelle in diesem Fall im Auftrag von Maurice Balancourt. Erneut handelt es sich um Mord, dieses Mal aber um einen aktuellen und noch dazu sehr brisanten: Commandant Bastian, der Chef der örtlichen Einheit der Police Nationale in Toulon, mit dem sich Isabelle bereits kurz nach ihrer Ankunft in Fragolin angelegt hatte, ist tot. Selbstmord durch einen Sprung vom Balkon seiner Ferienwohnung. Doch Balancourt möchte, dass Isabelle alles noch einmal erneut überprüft.

Daneben beschäftigen Isabelle und Apollinaire sich außerdem noch mit einem Fall aus den Akten, einem Raubüberfall auf einen Juwelier aus Cannes, der schon einige Jahre zurückliegt. Und zuguterletzt wird auch Isabelles Privatleben ein wenig durcheinander gewirbelt, denn neben Thierry tritt ein zweiter Mann auf die Bühne: Der Zeuge aus dem vorherigen Band hatte sich als der Kunstsammler Rouven Mardrinac entpuppt, der ein extravagantes Leben führt und sich zur Zeit an der Côte d’Azur aufhält. Er lädt Isabelle zu Ausflügen ein – entweder auf seine Yacht oder in seinem heruntergekommenen gelben Strandwagen – und sorgt für eine gehörige Portion Verwirrung.

Vielleicht habe ich jetzt (immerhin beim dritten Band) herausgefunden, was mich an Isabelle Bonnet ein wenig stört. Während beispielsweise Kommissar Dupin eher das Essen und Trinken vergisst, das Schlafen einstellt und alles der Ermittlung und seinem aktuellen Fall unterordnet, hat Isabelle eine, man könnte sagen, eher lockere, Arbeitseinstellung:

Gerade richtig für einen Ausflug nach Saint-Tropez, der Funkzelle, as der Bastian ein letztes Lebenszeichen gegeben hatte. Dort gab es zwar auch nichts zu tun, aber sie könnte etwas herumbummeln und sich inspirieren lassen. […] Natürlich würde sie keine Antworten auf ihre Fragen bekommen. Aber sie könnte sich bei Rondini Ledersandalen kaufen.

Dennoch löst sie natürlich auch in diesem Band sowohl den aktuellen als auch den alten Fall – mit zugegebenermaßen manchmal etwas ungewöhnlichen Methoden. Aber schließlich hat sie nur Apollinaire als Unterstützung und wenn man auf kein großes Team zurückgreifen kann, muss man sich eben selbst zu helfen wissen. Dass Isabelle das kann, beweist sie hier zum dritten Mal.