Auf den Kopf gestellt

Heute ist der 5. Juli. Das heißt, seit fünf Tagen schon ist das erste Halbjahr von 2020 vorbei. Ich muss hier jetzt nicht sagen, was das alles beherrschende Thema dieses ersten halben Jahres war und ist und vermutlich noch einige Zeit bleibt.

Für mich ist der 18. März da ein Stichtag, das war mein erster Tag im Home-Office. Am Wochenende davor wurden Gottesdienste und andere Veranstaltungen verboten, Schulen und Kindergärten geschlossen und ab dem Punkt wurde es irgendwie ernst.

Dreieinhalb Monate nun also schon, in denen alles so ganz anders läuft als gewohnt. In der alles „Normale“, alle Routinen und auch alle Pläne, die für diese Zeit gemacht worden waren, auf den Kopf gestellt worden sind.

Ich bin vor ein paar Tagen zufällig auf eine Nachricht gestoßen, die ich am ersten Montag in diesem Jahr an meine Mutter geschickt hatte. Wir waren auf der Suche nach einem Wochenend-Termin im Frühling, an dem wir mit meinen Eltern und meiner Patentante die Zeche Zollern hier in Dortmund besuchen wollten. Ich wollte einen ersten Aufschlag machen und habe aus dem Kalender die Wochenenden rausgesucht, die bei mir grundsätzlich frei waren. Viele waren es nicht.

Am zweiten April-Wochenende war Ostern. Am Wochenende danach Geburtstag von Bruder 3. Am Wochenende danach standen die Konfirmationen in der Heimat-Gemeinde mit Gesangs-Einsatz meinerseits auf dem Plan.

Das erste Mai-Wochenende wäre gegangen, mit dem Feiertag am Freitag. Über das Muttertags-Wochenende war das Stadtfest „Dortbunt“ geplant, auf dem wir wieder eine Kirchenbühne bespielen wollten, also ein Arbeitswochenende mit zwei langen Tagen. Die Woche darauf sollten wir am Sonntag im Gottesdienst als Chor das Musikfest Klangvokal eröffnen. Außerdem stand da eine Einladung zu einer Silberhochzeitsfeier und das jährliche Chortreffen in Ibbenbüren im Kalender. An Himmelfahrt wäre es auf Chorreise gegangen. Das Pfingstwochenende Ende Mai, das war noch frei.

Im Juni war das erste Wochenende wieder durch einen Bruder-Geburtstag „geblockt“. Fronleichnam war frei, für die Woche danach war Singen mit dem Chor auf einer Hochzeitsfeier und beim Sommerkonzert geplant. Und dann sollten die Sommerferien beginnen. „Ohje, das wird ja mal ein volles erstes halbes Jahr“, habe ich noch geschrieben…

Wir hatten uns schließlich alle zusammen auf das erste April-Wochenende verständigt. Unnötig zu erwähnen, dass nicht nur dieser Termin sondern auch alle anderen gerade genannten (bis auf Ostern, natürlich, und die Geburtstage) ausgefallen sind. Keine vollen Wochenenden, keine Termine – stattdessen… ja, was?

Nach der anfänglichen Überraschung, ein bisschen Bestürzung und einigem an Arbeit kam tatsächlich so etwas wie Entschleunigung. Viele Spaziergänge, viel draußen sein, denn immerhin das Wetter war ja wunderbar (ich weiß, nicht für die Natur und die Landwirtschaft, usw., aber angenehm war es trotzdem). Meine bescheidenen Gartenmöbel habe ich jetzt wohl schon mehr genutzt als im ganzen letzten Jahr. Viel ungeplante, sehr schöne Familienzeit war dabei. Zuhause sind wir einige Teutoschleifen und -schleifchen gelaufen, auch hier in Dortmund habe ich schon einige neue Ecken erkundet. Und bin damit noch lange nicht fertig.

Ich habe aber etwas gebraucht, bis ich mich damit arrangiert hatte, in einem Alltag völlig ohne äußere Strukturen, mit dem Ausfallen und Absagen so vieler schöner Termine, auf die ich mich lange gefreut hatte, mit viel freier Zeit. Ja, das ist eine absolute Luxussituation – ich habe nur mich zu versorgen, ich habe weiterhin meine Arbeit und Einkommen, ich muss keine Kinder bespaßen oder beschulen, keine Angehörigen pflegen usw. Mich da über Langeweile zu beklagen,  steht mir nicht zu. Auch wenn es die – natürlich – gelegentlich gab.

Genau wie antriebslose Tage: Ich bin jemand, der unter einem gewissen Stress oder Druck tatsächlich gut arbeitet. Irgendwie brauche ich das, Termine, Aufgaben, die von mir erwartet werden, und nicht nur ein „ach, du könntest ja mal… ist aber auch egal, ob du das heute, morgen oder vielleicht doch gar nicht erledigst„. Wenn so viele Tage gleich sind und ich ganz allein bestimmen kann/muss, was ich wann oder vielleicht auch nicht tue, finde ich das fast anstrengender als im üblichen Rhythmus zu funktionieren. Am besten ist natürlich alles in Maßen – der Stress und die Freiheit und Entschleunigung. Dauer-Urlaub wäre auf jeden Fall nichts für mich – keine neue Erkenntnis, aber gerade wieder aktuell.

Das einzige, was von den anfänglichen Plänen übrig geblieben und tatsächlich noch in die Tat umgesetzt wurde, habe ich noch nicht erwähnt: Jobsuche in Corona-Zeiten. In den ersten Wochen des Jahres kristallisierte sich heraus, dass das tatsächlich „akut“ werden würde. Bewerbungsgespräche, das kann ich jetzt sagen, sind im Grunde auch mit „social distancing“ nicht viel anders als sonst. Und eines davon war tatsächlich erfolgreich. Ab Mitte August wird dann also, völlig unabhängig von Corona, noch einmal alles anders, neu und aufregend. Morgen beginnen meine letzten zwei Wochen im alten Job, zurück im Büro und dann heißt es noch einmal, vier freie Wochen zu füllen, ehe eine neue, spannende Aufgabe beginnt.